Lebendige Sprachinseln - Unser Standardwerk

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ISBN 88-8819704-4

Herausgeber:
Karin Heller, Luis Thomas Prader und Christian Prezzi

Texte gesammelt und bearbeitet von Christian Prezzi

Fachliche Unterstützung und sprachliche Gesamtsichtung:
Karin Heller, Innsbruck
Koordination: Luis Thomas Prader

Umschlagentwurf:
Desy Napoli, Die Mühsal des Aufstiegs

Übersetzung vom Italienischen ins Deutsche:
Claudia Manica (Einführung, Fersental, Kampell, Kanaltal, Lusérn, Plodn, Sieben Gemeinden, Tischlbong, Zahre)
Paula Weiss (Dreizehn Gemeinden, Èischeme, Greschòney, Remmalju)

Die Herausgabe dieser Publikation wurde durch die Finanzierung der Autonomen Region Trentino Südtirol ermöglicht.

Druck: Athesiadruck, Bozen

Ausgabe 2006, 2. Auflage

Gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Wien

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AUTOREN

Pietro Adami, Irene Alby, Rolando Balestroni, Sergio Bonato, Enzo Bonomi, Francesca Cattarin, Patrizia Craighero, Milena Feghiz Vasina, Giovanni Kravina, Renate Linty, Umberto Litschi, Vito Massalongo, Nadia Mesella, Christian Merzi, Giovanni Molinari, Desy Napoli, Fiorenze Nicolussi Castellan, Luigi Nicolussi Castellan, Alberto Peratoner, Pietro Piazzola, Velia Plozner, Luis Thomas Prader, Christian Prezzi, Lucia Protto, Giovanni Rapelli, Enrico Rizzi, Elide Squindo, Eugenio Squindo, Leo Troller, Mauro Unfer

INHALTSVERZEICHNIS
EINFÜHRUNG   9
Das Komitee der historischen deutschen Sprachinseln - Luigi Nicolussi Castellan und Luis Thomas Prader   9
Warum dieses Buch über die Minderheiten? - Christian Prezzi   11
DREIZEHN GEMEINDEN (XIII Komoinen)-XIII COMUNI    
Zimbrische Gemeinschaft in der Provinz Verona   15
Beschreibung - Vito Massalongo
  15
Die Entstehung der Sprachinsel - Giovanni Rapelli   17
Das 20. Jahrhundert: eine Zeit großer Veränderungen - Nadia Massella   22
Traditionen der Lessinischen Gemeinschaft - Ezio Bonomi   26
Die Sprachgemeinschaft - Giovanni Molinari   36
Das kulturelle Leben - Pietro Piazzola   38
ÉISCHEME-ISSIME    
Walser Gemeinschaft im Aostatal - Irene Alby in Zusammenarbeit mit Renate Linty   43
Beschreibung   43
Die Geschichte der Gemeinschaft   43
Die Traditionen   53
Die Sprache   58
FERSENTAL (Bersntol)-VALLE DEL FÉRSINA    
Fersentaler Gemeinschaft im Trentino - Leo Toller   63
Vorwort   63
Einführung   63
Die Besiedlung des Tales   64
Der Berghof   65
Die Auswanderung   67
Berkwerke und Knappen   68
Die Fersentaler Sprache   69
Die Gegenwart   71
Das Brauchtum   71
Kurzbibliografie   72
GRESCHÒNEY-GRESSONEY    
Walser Gemeinschaft im Aostatal   75
Geografische Beschreibung - Eugenio Squindo und Desy Napoli   75
Geschichte der Gemeinschaft - Eugenio Squindo und Desy Napoli   75
Die Auswanderung der Gressonyer Händler in die Schweiz - Umberto Litschi   78
Mit dem Lebenslauf verbundene Traditionen - Eugenio Squindo und Desy Napoli   81
Mit dem Jahresablauf verbundene Traditionen - Eugenio Squindo und Desy Napoli   83
Die Sprache - Elide Squindo   86
Die Schule - Eugenio Squindo und Desy Napoli   86
Die Kirche - Eugenio Squindo und Desy Napoli   87
Rechtsvorschriften und ihre Durchführung - Eugenio Squindo und Desy Napoli   88
Kulturelle Einrichtungen - Eugenio Squindo und Desy Napoli   88
Veröffentlichungen von Interesse für das Walsergebiet - Eugenio Squindo und Desy Napoli   89
KAMPELL-CAMPELLO MONTI    
Walser Gemeinschaft in der Provinz Verbania - Rolando Balestroni   91
Geografische Beschreibung   91
Geschichte der Gemeinschaft   92
Die Walser in Kampell - nach Enrico Rizzi   94
Die Zeit der Kommunalautonomie (1814-1829)   103
Aspekte des traditionellen Wirtschaftsmodells   106
Die Frauentracht von Kampell   111
Das Walser Tittschu in Kampell   113
Das kulturelle Leben   114
Bibliografie   117
KANALTAL-VALCANALE    
Deutschsprachige Gemeinschaft in der Provinz Udine - Giovanni Kravina   119
Einführung    119
Geografische Lage und geschichtlicher Abriss    119
Gemeinden und Ortschaften des Kanaltals    120
Sprachgemeinschaft    121
Die deutsche Sprache im Kanaltal und ihre Verbreitung    121
Weitere Entwicklungen des Deutschunterrichts    122
Deutsch in den Volksschulen von Tarvis. Lehrversuche mit den Volksschulen von Villach    122
Deutsch als Sprachmotor bei der mehrsprachigen Ausbildung im Kanaltal    123
Kanaltaler Kulturverein    127
LUSÉRN-LUSERNA    
Zimbrische Gemeinschaft im Trentino   131
Geografische Beschreibung - Christian Prezzi   131
Stärke der Gemeinschaft - Christian Prezzi   132
Geschichte der zimbrischen Besiedlung - Christian Prezzi   133
Von der Bildung der Lusérner Gemeinschaft bis zum Ende des 19. Jahrhunderts - Christian Prezzi   136
Der Nationalsozialismus in den Zimbrischen Sprachinseln des Trentino im 19. und 20. Jahrhundert - Christian Merzi   139
Die Gemeinschaft von Lusérn im frühen 20. Jahrhundert - Christian Prezzi   147
Die Option von Lusérn - Christian Prezzi   159
Zimbrisches Brauchtum von Lusérn - Christian Prezzi   165
Die zimbrische Sprache von Lusérn - Fiorenzo Nicolussi Castellan   170
Die Situation in der Schule - Luigi Nicolussi Castellan   171
Die sozioökonomische und politische Situation - Luigi Nicolussi Castellan   172
PLODN-SAPPADA    
Deutschsprachige Gemeinschaft in der Provinz Belluno - Alberto Peratoner   177
Geschichte von Plodn-Sappada   177
REMMALJU-RIMELLA    
Walser Gemeinschaft in der Provinz Vercelli - Milena Feghiz Vasina   185
Geografische Beschreibung   185
Geschichte der Gemeinschaft   188
Brauchtum   207
Die Sprachgemeinschaft   212
Rechtsvorschriften und deren Durchführung   215
Kulturleben   216
SIEBEN GEMEINDEN (Siben Kameun)-SETTE COMUNI    
Zimbrische Gemeinschaft in der Provinz Vicenza - Sergio Bonato   221
Die Zimbern der "Sieben Gemeinden"   221
TISCHLBONG-TIMAU    
Deutschsprachige Gemeinschaft in der Provinz Udine   227
Einführung - Mario Unfer   227
Geschichte der Gemeinschaft- Mario Unfer   228
Die Karnischen Trägerinnen im Ersten Weltkrieg - Mario Unfer   231
Gebräuche im Jahreszyklus - Velia Plozner   232
Kulinarische Einflüsse aus dem Raum jenseits der Alpen - Pietro Adami   237
Die Sprachgemeinschaft - Francesca Cattarin   239
Lehrerfahrungen im Kindergarten von Tischlbong-Cleulis - Patrizia Craighero und Velia Plozner   243
Lehrerfahrungen in der Ganztags-Volksschule von Tischlbong-Cleulis - Patrizia Craighero und Velia Plozner   244
Das kulturelle Leben - Mauro Unfer   249
Bibliografie   253
ZAHRE-SAURIS    
Deutschsprachige Gemeinschaft in der Provinz Udine - Lucia Protto   255
Einführung   255
Geschichte der Gemeinschaft   256
Das Brauchtum   272
Die Sprachgemeinschaft   277
Bestimmungen und ihre Durchführung   284
Kulturelles Leben   284
ANHANG    
Das "Vater Unser": Ein Vergleich zwischen verschiedenen alten Sprachformen   289
EINFÜHRUNG

In jüngerer und fernerer Vergangenheit wurde den historischen deutschen Sprachinseln in Italien nie besondere Beachtung geschenkt. Auch die Kontakte unter diesen Gruppen erfolgten äußerst sporadisch, weshalb die Kenntnisse voneinander immer sehr begrenzt waren. Sicher haben sich Fachwissenschaftler mit dem Problemkreis befasst, ihr Wirken blieb aber auf den akademischen Bereich beschränkt.

Erst nachdem das Europäische Parlament eine Empfehlung zum Schutz der Sprach- und Kulturgruppen erlassen hatte, entwickelte sich das Bewusstsein um das Bestehen der zahllosen Volksgruppen in Italien und in ganz Europa. Infolge dieser neuen Einstellung intensivierten die Minderheiten den Informations-, Erfahrungs- und Meinungsaustausch, unter anderem durch Veranstaltungen und Treffen.

Die Genehmigung des Gesetzes 482/1999 durch das italienische Parlament, in Anwendung des Art. 6 der Verfassung der Italienischen Republik, trug zur Intensivierung sowohl des Wissens um die kulturelle und soziale Bedeutung der Sprachen und Kulturen der Volksgruppen, als auch der konkreten Aktivitäten  zum Schutz und zur Aufwertung bei. Dieser Prozess wurde noch bedeutender, als die Europäische Union und der Europarat 2001 als Europäisches Jahr der Sprachen ausriefen, um die Sprachenvielfalt Europas zu würdigen und das Sprachenlernen zu fördern.

Das Ziel war, die Kenntnisse der weiter verbreiteten Sprachen zu stärken – zur Erleichterung der internationalen Kommunikation -, so wie auch das gegenseitige Verständnis der verschiedenen Kulturen durch das Erlernen der lokalen Sprachen zu verbessern.  Mit einem Wort, die Sprachen und Kulturen der Volksgruppen sollten im Rahmen des Projekts »Europäisches Jahr der Sprachen« eine angemessene Stellung erhalten.

So wurde 2001 in Neumarkt (Südtirol) ein Treffen aller deutschen Sprachinseln in Italien veranstaltet, um einen Überblick über die Situation zu schaffen. Das Thema lautete »Deutsche Sprachinseln Oberitaliens – Gegenwart und Zukunft / Isole Linguistiche Germaniche nell’Italia settentrionale – Presente e futuro«.

Nach zwei Tagen intensiver Arbeit verabschiedeten sich die Teilnehmer in der festen Absicht, sich öfter zu treffen und eine konstantere Zusammenarbeit zu pflegen, um konkrete, im europäischen Jahr der Sprachen aufgestellte Ziele zu erreichen.

Zur Umsetzung dieser Absicht veranstaltete das Dokumentationszentrum Lusérn/Centro Documentazione Luserna onlus – eine Stiftung der Gemeinde Lusérn, in der die stärkste und vitalste zimbrische Gemeinschaft lebt – zwei Begegnungen mit den Vereinen der italienischen Sprachinseln deutschen Ursprungs, um den Weg für ständige Kontakte und Zusammenarbeit zu ebnen.

In Lusérn wurde am 26. Mai 2002 das »Einheitskomitee der historischen deutschen Sprachinseln in Italien« gegründet, dem Vereine folgender Gemeinschaften angehören:

1. Greschòney/Gressoney, Éischeme/Issime und Kampell/Campello Monti (Walser Minderheit);

2. Valle del Férsina (Fersentaler Minderheit);

3. Lusérn/Luserna, Dreizehn  Gemeinden von Verona und Sieben Gemeinden von Vicenza (zimbrische Minderheit);

4. Plodn/Sappada, Zahre/Sauris, Tischlbong/Timau und Kanaltal/Valcanale (deutschsprachige Minderheiten).

Das Komitee hat es sich zum Ziel gesetzt, »die Sprache und die Kultur der historischen deutschen Gemeinschaften (…) auch in Zusammenarbeit mit anderen Körperschaften, Vereinigungen und Personen in Italien und in Europa zu schützen und zu fördern«. Das Komitee umfasst nicht nur Einzelpersonen, sondern auch »Vertreter der Körperschaften und Vereinigungen der Gemeinschaften«, kann »anderen Organen, die ähnliche Ziele verfolgen, beitreten« und dabei »auf die persönliche, freiwillige und unentgeltliche Mitarbeit seiner Mitglieder« zurückgreifen. Die Hauptversammlung findet einmal im Jahr statt, der Koordinierungsrat (ein Vertreter für jede deutsche Sprachinsel) tagt grundsätzlich zweimal im Jahr. Die Verwaltungstätigkeit, Organisation, Öffentlichkeitsarbeit usw. erfolgen durch den Koordinator und den Sekretär.

Die Gründung des Komitees fußt auf dem Art. 3 des Staatsgesetzes vom 15. Dezember 1999, Nr. 482, in dem es heißt: »Wenn die Sprachminderheiten laut Art. 2 auf verschiedene Landes- oder Regionalgebiete verteilt leben, können sie Koordinierungs- und Initiativorgane bilden, zu deren Anerkennung die betroffenen Gebietskörperschaften befugt sind«. Das Komitee, das demnach auch eine institutionelle Rolle hat, wurde von zahlreichen Gemeinden, Provinzen und Regionen anerkannt.

In der kurzen Zeit des Bestehens wurde das Komitee zu einem wichtigen Bezugspunkt für den Informations- und Erfahrungsaustausch, für Kontakte zur Zusammenarbeit auch mit anderen Volksgruppen und mit in- und ausländischen Stellen und Vereinigungen, die an den Fragen der Sprachminderheiten interessiert sind.

Dem Betreiben des Komitees ist diese Publikation zu verdanken – die erste, in der sich die Gemeinschaften deutschen Ursprungs direkt und miteinander vorstellen.

Für die nächste Zukunft sind die Erarbeitung, der Druck und die Verteilung eines Bildbandes für Kinder und Jugendliche geplant, mit Texten in Italienisch wie auch in den Sprachen der einzelnen deutschen Minderheitengruppen.

Die Einsetzung des Komitees und seine Arbeit haben die Aufmerksamkeit anderer Minderheiten und zahlreicher Befürworter geweckt. Wir wollen uns weiterhin bemühen, unsere deutschen Sprachgemeinschaften bekannt zu machen, so viele Aktivitäten wie möglich in Absprache miteinander durchzuführen und einen Beitrag zur Stärkung des Bewusstseins zu leisten, dass wir einzigartige Sprach- und Kulturgüter von europaweiter Bedeutung vertreten; wir streben gegenseitige Unterstützung und Ermutigung bei der schwierigen Aufgabe an, der derzeitigen kulturellen Abflachung entgegenzuwirken, um auch den kommenden Generationen dieses fast tausendjährige Sprach- und Kulturgut – Zeugnis einer langen Vielvölker-Geschichte Europas – zu erhalten. Möge dieses Europa immer einiger werden im Handeln und bei der Berücksichtigung aller seiner Mitglieder.

Als Koordinator und Sekretär dieses Komitees danken wir in dieser Einleitung Dr. Christian Prezzi, einem Luserner Zimber, der diese Veröffentlichung zusammengestellt hat, wie auch allen Autoren und der Region Trentino-Südtirol für ihre großzügige finanzielle Unterstützung, durch die der Druck in italienischer und deutscher Sprache ermöglicht wurde.

Wir danken weiters der Region für die Finanzierungshilfe für unsere Home Page www.isolelinguistiche.it, die auch von den Internet-Adressen www.sprachinseln.it und www.minoranzelinguistiche.it aus zugänglich ist, und dem Curatorium Cimbricum Veronense für die Einrichtung unserer Webseite.

WARUM DIESES BUCH ÜBER DIE MINDERHEITEN?

Die deutschen Sprachinseln sind seit langem Gegenstand von Studien und Forschungsarbeiten von Historikern und Vertretern anderer Wissenschaften.

Bereits in der Renaissance befassten sich einige bedeutende Literaten mit diesen Fremden, die in den Hochgebirgstälern wohnten, rätselten über den Grund ihrer Präsenz und suchten nach Erklärungen und Wahrheiten auf einer Grundlage von Geschichte und Sage.

In den zahlreichen Studien über die Jahrhunderte hinweg wurden verschiedene Hypothesen und Theorien aufgestellt, um der so faszinierenden wie auch ungewöhnlichen Existenz von namenlosen und gewissermaßen noch geschichtslosen Völkern Sinn zu verleihen. Diese Gemeinschaften von Bergbewohnern mit anderen, nördlichen Sprachklängen bildeten Inseln mit jahrhundertealten Traditionen und Gebräuchen, aber anscheinend ohne Vergangenheit; es fehlten die Urkunden, die sie an bestimmte Orte und Perioden banden.

Bei diesen mannigfaltigen Theorien zeigte sich die Tendenz, die Entstehung der deutsch- sprachigen Siedlungen in weit entfernter Zeit anzusetzen – etwa in der Periode der Völkerwanderung oder bei alten, bereits untergegangenen Stämmen.

Erst in relativ junger Zeit gelangte man zu einer Definition der deutschen Besiedlung auf der Alpensüdseite, die ausreichend erhärtet ist, sodass sie allgemein übernommen werden kann.

Die Verwendung des Ausdrucks »Definition«, wie wir es soeben getan haben, kann allerdings zu Missverständnissen führen. Bei der Behandlung deutscher Sprachminderheiten wird oft nach einem einzigen Auslegungsschlüssel gesucht, um zu deuten, was auf den ersten Blick ein und dieselbe Erscheinung ist – zwar mit vielen Facetten, doch mit einer einheitlichen Kennzeichnung.

Das ist ein großer Fehler.

Die deutschen Sprachminderheiten der Alpen sind Gegebenheiten, die untereinander kaum verbunden sind, Fragmente verschiedener Geschichten, in denen Zusammenfassungen unter demselben Namen (z.B. Zimbern oder Walser) oft eher auf den Wunsch zurückzuführen sind, geographisch nahe gelegene Gruppen zu verbinden, als auf tatsächliche, erwiesene Gemeinsamkeiten.

Nicht zufällig wird bei der vorliegenden Sammlung von Beiträgen jede Minderheit einzeln behandelt, ohne dass damit gemeinsame Wurzeln geleugnet werden sollen. Der springende Punkt ist folgender: Es wäre in jedem Fall falsch, diese Realitäten in viele Untergruppen zu zersplittern wegen ihrer Geschichte als autonome Gemeinschaften, die oft geografisch isoliert sind und daher besondere, eigenständige Merkmale aufweisen, die fast nur eine einzelne Betrachtung zulassen. Einerseits ist die Beeinflussung kleiner Bestände durch große Phänomene unleugbar, andererseits müsste man sich fragen, wie weit die kleinen Bestände tatsächlich imstande sind, ihre Gleichartigkeit zu bewahren oder sich gegenseitig zu beeinflussen, und wie viel demnach die einzelnen ]Minderheiten wirklich gemeinsam haben können, auch wenn der Ursprung möglicherweise derselbe ist.

Ohne das Mosaik der Sprachinseln in tausend lose Steinchen zersplittern zu wollen, wurde diese Publikation in der Absicht zusammengestellt, vor allem die Verschiedenheiten und jeweiligen Besonderheiten zu zeigen, bei denen Wissenslücken oft dadurch geschlossen wurden, dass das Untersuchungsobjekt auf ein Miteinander von Realitäten erweitert und diskutable Gleichstimmigkeiten volens nolens akzeptiert wurden.

Was diese Veröffentlichung jedoch in erster Linie kennzeichnet, ist etwas anderes.

Wer immer sich den Studien über Sprachminderheiten genähert hat, ist im Wesentlichen auf zwei Arten von Analysen gestoßen.

Die erste wird aus den »gelehrten« Studien gebildet, d.h. Untersuchungen eines einzigen Fachbereichs oder mit allgemeinem Ansatz, bei denen sich namhafte Forscher mit diesen Gemeinschaften befassten, um Sprache, Brauchtum und anderes zu analysieren; dazu hielten sie die Realität in ihrer Eigenschaft als externe Beobachter fest, die nicht direkt in das soziale Gefüge eingebunden und demnach ausreichend distanziert sind, um objektiv, mit anderen Worten wissenschaftlich vorzugehen.

Neben diesen ist eine zweite Kategorie von Recherchen, die der ortsgebundenen Studien, zu nennen.

Oft handelt es sich um Arbeiten im historischen oder sprachlichen Bereich, die einstmals häufig von Geistlichen betrieben wurden und denen sich nun eine Reihe von Amateurforschern widmet. Diese Texte zeichnen sich durch einen lebendigen Ansatz aus, der sich unweigerlich von dem der großen wissenschaftlichen Denkrichtungen entfernt; er führt zwar oft zu schwer überprüfbaren Ergebnissen und Hypothesen, hat aber das Verdienst, dokumentarische Lücken durch eine eingehende Suche in Lokalarchiven oder durch die Ausschöpfung mündlicher Quellen abzudecken. Während diese Studien also nicht immer hochwissenschaftliche Resultate gebracht haben, so lieferten sie doch einen Grundstock für viele der späteren Analysen.

Ohne die Transkriptionen und Texte, die diese Autoren in den vergangenen Jahrzehnten geschrieben haben, würde vielen bedeutenden zeitgenössischen Forschungsarbeiten die Basis fehlen.

Sehr wertvoll waren diese Schriften bei der Abfassung von Texten in den Mundarten dieser Gemeinschaften und bei der Dokumentation von Vokabeln, Ausdrücken und grammatikalischen Formen. Dank dieser Arbeiten, besonders für Minderheiten, bei denen der Gebrauch der lokalen Sprache stark gefährdet ist, konnte die Erinnerung an sie bewahrt werden.

Die folgende Sammlung von Abhandlungen kann jedoch keiner der zwei vorigen Kategorien zugerechnet werden, da sie gleichzeitig beiden angehört, aber auch spezielle Merkmale zeigt.

Wie viele Sammlungen »gelehrter« Studien bietet sie einen Überblick sowohl in fächerübergreifender Hinsicht, da sie aus Beiträgen von Vertretern verschiedener Sparten entstanden ist, als auch weil sie eine Vielzahl von Situationen erfasst und es dem Leser gestattet, die Minderheiten miteinander zu vergleichen.

Die Publikation kann jedoch auch als komplexe Variante lokaler Studien bezeichnet werden.

Großer Wert wurde darauf gelegt, dass jede Minderheit aus ihrem Inneren heraus beschrieben wurde, dass die ]Vereine und kulturellen Verbände der einzelnen Gemeinschaften autonom ihre hervortretenden Eigenschaften darstellten und ihre Probleme und den »charakteristischen Alltag« schilderten.

Der Text, der sich ergeben hat, ist bewusst einfach gehalten und beschreibt unverblümt die verschiedenen Aspekte, ohne Angst vor Widersprüchen, wie sie bei vermengten Texten auftauchen können, die ähnlichen Inhalt in verschiedener Weise behandeln.

Für diese Wahl liegen präzise Gründe vor.

Zum ersten Mal sollte eine Abhandlung umfassend die Realität der deutschen Siedlungen in Italien zeigen und dabei die einzelnen Gemeinschaften selbst zu Wort kommen lassen, die mehr als jede andere die Realität schildern können, in der sie sich jeden Tag bewegen.

Einerseits haben zwar die von Historikern und anderen Experten geschriebenen Arbeiten den Vorzug, dass sie wissenschaftlichere Ansätze nutzen, andererseits sind sie aber durch zeitlich begrenzte Beobachtung ziemlich eingegrenzt. Während dieses Problem für die Analyse historischer Erscheinungen wenig relevant ist, ist es für Untersuchungen von Fragen des Alltags nicht unbedeutend.

Niemand kann besser Probleme im Zusammenhang mit dem täglichen Geschehen einer Gemeinschaft erörtern, als jemand, der ihr angehört und sich ständig mit ihr auseinandersetzt. In dieser Publikation haben die Vereinigungen und Stellen, die sich mit dem Schutz der Sprachen und Kulturen der Sprachgemeinschaften befassen, zusammen Texte erarbeitet, in denen sie von sich sprechen, vom Gebrauch der Sprache in ihren Ortschaften und von den Projekten, an denen sie arbeiten, um die Jahrhunderte alten Gebräuche zu schützen. Neben den Schilderungen von Geschichte, Sprache und Sitten dieser Völker finden sich auch Seiten, auf denen von Erfolgen und Misserfolgen der zahlreichen konkreten Vorhaben der Schule, der öffentlichen Verwaltung und anderer Bereiche des Vereinslebens die Rede ist.

Es sind Bilder, die mit der Einfachheit und Bescheidenheit des Nichtakademikers den Alltag von lebendigen Minderheiten darstellen, die erhobenen Hauptes ins dritte Jahrtausend schreiten.

Der letzte Aspekt, der in der Einführung zu diesem Werk betont werden soll, geht aus diesen abschließenden Zeilen hervor:

Zu oft wurden die alpinen Sprachminderheiten als verschwindende Gemeinschaften dargestellt, als tödlich getroffen von der modernen Zeit und zu beschäftigt mit der Erinnerung an die stolze Vergangenheit, als dass sie die Zukunft in Angriff nehmen könnten.

Der Ansatz der Autoren der Abhandlungen ist äußerst verschieden: Ohne die Vergangenheit zu vergessen, die immer auch mit ein wenig Nostalgie betrachtet wird, soll in jedem Fall gezeigt werden, dass diese Bergsiedlungen noch über Energie und Willen verfügen, um für eine Identität zu kämpfen, um derentwillen ihnen im letzten Jahrhundert viele Veränderungen aufgezwungen wurden, die ihnen aber auch zum neuen Bewusstsein verholfen hat, letzte Träger eines Kulturgutes zu sein, das nicht mehr ihnen alleine, sondern der gesamten Menschheit gehört.