"PLODAR LAIT UNT LEBM" - Beitrag aus 2014

Das kommt ganz darauf an: Die Italiener nennen das Dorf Sappada, und mit diesem Namen wird es offiziell auch überall geführt. Als Pladen wird es häufig in deutschsprachiger Literatur und von Menschen nördlich des Alpenhauptkammes bezeichnet; allerdings handelt es sich dabei um eine künstliche Eindeutschung; in Wirklichkeit hat es diese Form offiziell nie gegeben. Für die Einheimischen heißt es schlicht und einfach Plodn. Demzufolge wird von der Plodar Vosenòcht geredet, wohl auch deshalb hat die Gemeinschaft ihr Sprachinsel-Wörterbuch Plodar Berterpuich genannt.
Dieses Plodn, eine lang gestreckte Talmulde an den Ufern des Oberlaufes des Piave, liegt auf über 1250 Meter Höhe am Fuße des Berges Peralba, ist umkränzt von schroffen Dolomitengipfeln, alle höher als 2000 Meter. Auch hier haben die Gipfel uns bekannte Namen wie Zeinarschpitz, Mittòkschòrte oder Jochkouvl. Es ist eine berauschende Gegend von dunklen Wäldern, grünen Wiesen und tosenden Wildbächen. Kein Wunder, dass Plodn eine touristische Hochburg ist – im Sommer wie im Winter – und auch namhafte Sportler hervorgebracht hat. Über den Schneereichtum in Plodn wurde von jeher geschrieben; er muss in dieser Gegend schon etwas Außergewöhnliches sein. Aus dem Jahre 1951 wird berichtet, dass es innerhalb einiger Tage ganze elf Meter geschneit hatte und das Dorf drei Wochen lang von der Außenwelt abgeschnitten war.

Grafik: Plodn (Sappada) - Lage

Grafik: Plodn (Sappada) - Lage

Zur Geschichte

Plodn im Winter

Plodn im Winter

Die Gegend muss, wie zahlreiche Funde bestätigen, schon recht früh besiedelt gewesen sein, aber irgendwelche Urkunden mit einem verlässlichen Besiedlungsdatum gibt es anscheinend nicht. Erste Erwähnungen stammen aus dem ausgehenden 13. Jahrhundert. Auch da wird von schneereichen und langen Wintern gesprochen, davon, dass die Gegend kalt und reich bewaldet ist und dass die Menschen dort aufgrund der klimatischen Bedingungen ein hartes Leben führen. Aber gleichzeitig wurde auch erwähnt, dass die Menschen schon von alters her dort gesiedelt hatten. Von „alters her“ bedeutet wenigstens 200 Jahre. Somit ist davon auszugehen, dass Plodn bereits im 11. Jahrhundert besiedelt war. Dass es sich bei den Plodarn um die Besiedlung deutschsprachiger Menschen gehandelt hat, geht aus verschiedenen Urkunden hervor. In einer heißt es, dass der Ortspriester die „rechte deutsche Sprache“ kennen müsse, vor allem weil in diesem Tale außer dem Deutschen keine andere Sprache verwendet werde, vor allem nicht von den Frauen. Allerdings liegt der Ursprung der deutschsprachigen Bewohner weiterhin im Dunkeln. Der österreichische Historiker Josef Bergmann vertrat um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Meinung, bei den ersten Plodarn würde es sich um eingewanderte Gruppen aus Villgraten in Osttirol handeln. Um deutschsprachige Bevölkerung handelt es sich aber allemal, denn derselbe Bergmann schreibt 1849 über Plodn Folgendes: „Ihre Sprache ist die deutsche. Predigt nebst Christenlehre und Beichte wird deutsch, der Schulunterricht aber deutsch und italienisch gehalten. Die Seelsorger waren theils geborene Sappadiner, theils Italiener, die in Deutschland gelebt und deutsch erlernt hatten.“ Spätere Forschungsergebnisse bestätigen die Villgraten-These anscheinend nicht. Wie dem auch sei: Es ist nicht zu leugnen, dass die Plodar Sproche dem Pustertaler bzw. Osttiroler Dialekt sehr ähnelt.

Plodn ist besonders im Ersten Weltkrieg zum Handkuss gekommen. Nördlich der Ortschaft verläuft ja die italienisch-österreichische Grenze, und die Bewohner leisteten für die Italiener an der Front so manchen Nachschubdienst. Als bei den Isonzoschlachten die Italiener in Karfreit/Caporetto besiegt und in der Ebene bis an den Piave zurückgedrängt wurden, wurde das Tal kurzerhand evakuiert. Mehr als 800 Personen wurden in die Nähe von Arezzo (Toskana) gebracht. Dort entwickelten die Menschen ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl und errichteten sogar eine regelrechte Gemeindeverwaltung. Erst nach Kriegsende kehrten sie wieder in die Heimat zurück. Unvergessen ist auch der Zweite Weltkrieg: Im Anschluss an die Errichtung der Zone Alpenvorland glaubten die deutschen Heerführer, in der Plodar Bevölkerung, da sie Deutsch sprach, wertvolle Verbündete anzutreffen. Trotz verschiedener Repressalien gelang es den Deutschen aber nicht, die Plodar auf ihre Seite zu ziehen. Der Abzug der deutschen Besatzungsmacht und das Ende des Krieges wurden mit Glockengeläut gefeiert. Heute gehört Plodn verwaltungsmäßig zur Provinz Belluno und somit zur Region Veneto – kirchlich hingegen zur Diözese Udine, die ja bekanntlich in Friaul liegt. Es besteht somit eine ähnliche Situation, wie sie bei den Ampezzaner Ladinern bis 1964 war: politisch beim Veneto, kirchlich bei der Diözese Brixen. Im Jahre 2008 hat es in Plodn ein Referendum zum Provinzwechsel nach Udine gegeben, aber auf institutioneller Ebene ist dem Ergebnis bis heute nicht Rechnung getragen worden.

Plodn, ein Weilerdorf

Durch den Bau der neuen Straße zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist das Dorf sozusagen zweigeteilt: Links und rechts der neuen Straße finden wir neue Häuser, Geschäfte, größere und kleinere Gastbetriebe – die üblichen Tourismusstrukturen. Die Straße lädt zum flotten Durchfahren ein, nach wenigen Kilometern hat man die Ortschaft hinter sich gelassen. Sicherlich, auch das ist Plodn – das Plodn des geschäftlichen Tourismuskarussells und des Massenbetriebs. Längs der „alten“ Straße, an der Sonnenseite des Tales gelegen, gibt es ein ganz anderes Dorf, das „alte“ Plodn, das Plodn der Bauernhäuser im Blockbaustil mit Stall und Stadel, das Dorf der vielen kleinen Wegkreuze und Bildstöcke; hier ist Plodarisch noch Familiensprache, hier findet man das Bilderbuch-Plodn.

Plodar haiser pa Krotn

Plodar haiser pa Krotn

Von jeher ist man hier inmitten kleiner Weiler, heivilan genannt, inmitten von Hofgruppen also, die in etwa alle gleich weit voneinander entfernt sind. Fünfzehn solcher „heivilan“ sind es, eines davon allerdings erst im 19. Jahrhundert errichtet. Dass es sich bei diesen Häusergruppen um alte Siedlungsstrukturen handelt, lässt sich auch ihren Namen entnehmen. Talaufwärts beginnt es mit Lerpa (Lärchenbach), dann kommt Dorf. Weiter geht es mit Moos, es folgen Pihl (Bichl), Pòch, Milpa (Mühlbach), Kòttern, Houve, Prunn, Krotn, Begar, Ekke, Puicha, Krètte, Zepodn (zum Boden). Die meisten Bewohner befinden sich in Pòch mit über 300 Personen, am wenigsten wohnen in Puicha: weniger als zehn. Dass während der Faschistenzeit die Weilernamen italienisiert worden waren, war nicht zu vermeiden, aber heute sind wieder die Ursprungsnamen im Gebrauch.

GotPlodar Wallfahrt nach Maria Luggau

GotPlodar Wallfahrt nach Maria Luggau

An einer Außenwand des Gemeindehauses sind die „Wappen“ der einzelnen Weiler in Reliefs dargestellt. Wie in Tirol üblich, gehören zu Weilern auch Bildstöcklein oder kleine Kapellen; in Plodn nennt man sie „maindlan“. Das Wort maindl wird meistens mit einem Ortsnamen in Verbindung gebracht oder mit einem Heiligen. So gibt es zum Beispiel ein Lèrpamaindl oder ein Puicharmaindl, ein Sant’Antònimaindl oder ein Filomenamaindl. Die „heivilan“ sind das architektonische Wahrzeichen Plodns. Man besucht sie am besten zu Fuß: Das Benützen von Motorfahrzeugen aller Art durch Außenstehende ist zu Recht unerwünscht und auch extrem störend.

Plodar Brauchtum

Mit dem Namen Plodn sind unweigerlich zumindest zwei bedeutende jährliche Brauchtumsereignisse verbunden: die „Plodar kirchfort in de Lukkaue“ und die „Plodar Vosenòcht“.

Die Wallfahrt nach Maria Luggau

Der Pfarrer von Plodn sagt, das Heiligtum der Schmerzensmutter von Maria Luggau sei das Heiligtum der Plodar Bevölkerung. Seit Jahrhunderten besteht ein enges spirituelles Band zur Luggauer Gottesmutter, seit Jahrhunderten nehmen Menschen den beschwerlichen Pilgerweg zu Fuß auf sich: einzeln, in kleinen und größeren Gruppen. Bereits aus dem Jahre 1804 wird eine erste offizielle Bittprozession nach Luggau verzeichnet. Es war ein Bittgang, um die damals wütende Rinderpest vom Dorf fernzuhalten. Wundertaten der Gottesmutter von Luggau sind schon aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts verzeichnet. Im Klosterarchiv gibt es nämlich sogenannte Mirakelbücher, in welchen von den Wundertaten der Gottesmutter erzählt wird. Besonders interessant sind da wohl die Berichte, wonach tot geborene Kinder zum Leben erweckt worden sind, damit sie halt doch durch die Taufe von der Erbsünde erlöst würden. Seit dem Jahre 1804 wurde die „kirchfort in de Lukkaue“ alljährlich abgehalten, wenn man von den Kriegszeiten und einigen seitens der Faschisten verordneten Unterbrechungen absieht. Heutzutage findet die Wallfahrt nach Maria Luggau am dritten Wochenende im September statt. An die 500 Menschen nehmen den Fußmarsch auf sich; nicht nur Leute aus Plodn nehmen daran teil, sondern auch Pilger aus umliegenden Nachbargemeinden, einschließlich der Zahre. Die Wallfahrt folgt einem genau vorgegebenen Schema:
Am Samstagmorgen um 3 Uhr Start auf Zepodn nach einer kurzen Anbetungsandacht in der dortigen Kirche; um 6 Uhr Ankunft nach 13 Kilometer Fußmarsch bei der Piave-Quelle; um 8.30 Uhr Ankunft bei der Hochweißsteinhütte, die auf österreichischem Boden liegt; um 14.15 Uhr Ankunft in Maria Luggau und Empfang durch den dortigen Prior: Die Pilger haben inzwischen bereits 27 Kilometer Fußmarsch zurückgelegt. Am Sonntag gibt es im Kloster um 7.45 Uhr eine Messfeier, dann begeben sich die Pilger auf den Rückweg. Ankunft in Plodn ist dann um halb acht Uhr abends und schließt mit einem feierlichen Tedeum.

Der Rollat

Der Rollat

Der Fasching

Laut Meinung der Fachwelt zählt der Plodar Fasching zu den bedeutendsten Fasnachtsbräuchen im Alpenraum. Erstmals dokumentiert ist die Plodar Vosenòcht im Jahre 1864. Da wird von der Gemeindeverwaltung ein Verbot erlassen, in der Faschingszeit gewisse Handlungen zu unterlassen, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Demnach muss es in der Vosenòcht wohl recht lebhaft zugegangen sein; wahrscheinlich konnte sich auch nicht die gesamte Bevölkerung mit dem damaligen bunten Treiben identifizieren. Zudem war der Brauch außerhalb der Ortschaft wenig bekannt. Erst in der Nachkriegszeit ist den Plodarn der uralte Brauch so richtig bewusst geworden, es wurden schriftliche und mündliche Zeugnisse aller Art gesammelt, und die Plodar Vosenòcht wurde zu neuem Leben erweckt. Hauptfigur der Plodar Vosenòcht ist der Rollat. Die Wiener Sprachforscherin Maria Hornung spricht beim Rollat von einem „Relikt germanischen Brauchtums“. Der „Rollat“ ist nicht irgendeine Faschingsfigur, die beliebig gestaltet werden kann. Für die Figur gelten strenge Regeln – sei es, wie sie gemacht ist, sei es, wie sie sich zu benehmen hat. Jegliches Abweichen von diesen Regeln wird missbilligt und nicht geduldet.

Plodar Vosenòcht – Pèttlarsunntach Plodar Vosenòcht – Paurnsunntach
Plodar Vosenòcht – Pèttlarsunntach Plodar Vosenòcht – Paurnsunntach

 

Als Rollat fungieren nur Männer, möglichst groß gewachsen und kräftig gebaut. Der Rollat ist mit einem Schaf- oder Ziegenfell bekleidet, trägt eine dicke Pelzmütze, braunweiß gestreifte Hosen aus grobem Stoff, genagelte Schuhe und ein weißes oder rotes Halstuch, die Hände stecken in Fäustlingen. Sein Gesicht trägt einen großen Schnurrbart und dicke Augenbrauen. Die Maske ist ausschließlich aus Holz geschnitzt und ist gekennzeichnet durch einen großen Schnurrbart und kräftige Augenbrauen. Typisch für die Maske ist es auch, dass der Gesichtsausdruck ernsthaft und streng ist. Es ist keine Deformierung zum Komischen oder Karnevalesken zugelassen. Um die Körpermitte trägt der Rollat eine Kette mit hohlen Metallkugeln, in deren Innerem sich Eisenrollen befinden. Durch gezielte, dauernde Hüftbewegungen entsteht ein rollender Lärm. Mit sich führt der Rollat immer auch einen Reiserbesen, den er nie aus der Hand lassen darf. Schließlich spricht er in Falsett und verwendet ausschließlich das Plodarische. Er läuft herum, bedroht mit seinem Besen, was ihm nicht gefällt, läuft Kindern hinterher und erschreckt sie. Nie und nimmer gibt sich der Rollat zu erkennen, außer dass er vielleicht nach Monaten dem einen oder anderen Freund das Geheimnis verrät. Männer, die als Rollat unterwegs waren, berichten aufgrund ihrer Tätigkeit durchwegs von Gewichtsabnahme; eine beinharte Arbeit also, ein Rollat zu sein. Heute ist der Rollat zum Wahrzeichen für Plodn geworden und wird auch eifrig für Fremdenverkehrswerbung gebraucht, sehr zum Leidwesen mancher einheimischer traditionsbewusster Heimatpfleger.

Zur Plodar Vosenòcht gehören auch noch andere Masken, gebunden an den entsprechenden Zeitablauf. Sie beginnt mit dem Pèttlarsunntach. Die Verkleidung veranschaulicht das armselige Dasein, die Masken haben einen entsprechenden Gesichtsausdruck und führen sich auch als Bettler auf, die um Arbeit zum Überleben bitten. Der folgende Sonntag ist dann der Paurnsunntach – die Bauernwelt wird dargestellt. Es werden landwirtschaftliche Arbeiten vorgeführt, landwirtschaftliche Geräte sind zu sehen, die maskierten Frauen verteilen Süßspeisen, Verkleidung und Lòrvn stellen den Bauernstand dar. Und schließlich kommen die letzten drei Fasnachtstage: der Hearnsunntach, der Vrèssmontach und der Schpaibertach mit dem Übergang zum Òschemittach. Am Hearnsunntach wird die noble Gesellschaft dargestellt. Natürlich gibt es dazu wieder die entsprechenden Lòrvn, die entsprechende Kleidung, das entsprechende Gehabe.

Plodar Vosenòcht – HearnsunntachDer Rollat ist immer und überall dabei und ein gerne gesehener Gast. Schließlich gibt es ein Skilaufen der besonderen Art, der in den 1930er Jahren eingeführt und auf den Faschingsdienstag festgelegt wurde. Das Ganze ist in erster Linie eine gesellschaftliche Veranstaltung, bei der die Teilnehmer maskiert und teilweise auch mit historischer Skiausrüstung unterwegs sind. Da es sich nicht um ein sportliches Skirennen und auch nicht um Wettläufe handelt, trägt die Veranstaltung den Namen „No Club“.
Die Plodar Lòrvn verdienen allemal eine Erwähnung. Die Masken sind aus Holz, meistens aus einem einzigen Stück, geschnitzt und bemalt. Es gehört dazu, dass in den Familien solche Lòrvn als wertvolles Eigentum eifersüchtig gehütet werden und nur zum besonderen Anlass der Plodar Vosenòchtzeit hervorgeholt werden. Erst vor einigen Jahren hat man die Plodar Lòrvn katalogisiert. Mehrere Hundert hat man zusammengetragen und eine genaue Beschreibung über Herkunft und Verwendung vorgenommen. Sechs davon stammen noch aus dem 19. Jahrhundert, aber sehr viele wurden erst in den letzten Jahren geschnitzt. Der Großteil ist aus Zirmholz hergestellt, aber auch solche aus Linde, Birke und Kirschholz kommen vor. Die letzte Katalogisierung liegt schon mehrere Jahre zurück, und inzwischen sind zahlreiche neue Masken geschaffen worden.  In den jüngsten Jahren wird jährlich zur Faschingszeit ein eigener Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem neu geschaffene Masken prämiert werden; ein paar Dutzend neue Masken werden bei der jährlichen Schnitzar Bette vorgestellt – zugleich ein Ansporn für die Jugend, das traditionelle Brauchtum weiterhin zu pflegen.

 

Plodar Vosenòcht – Hearnsunntach

 

 

Puicher s’ Kottlars Haus und Schtòl – Freilichtmuseum

Puicher s’ Kottlars Haus und Schtòl – Freilichtmuseum

De Plodar Sproche

Plodn: GedichtMit der Plodar Sproche haben sich nicht nur ausgewiesene Sprachwissenschaftler befasst, sondern kürzlich auch Marcella Benedetti und Cristina Kratter, beide in Plodn daheim. 2006 verfassten die beiden ein Sprichwörterbuch mit dem Titel „Ans, kans, hunderttausent, berter saint et schtane“. Darin sind gebräuchliche plodarische Sprichwörter und Sagensweisen niedergeschrieben zu den vielen alltäglichen Lebensbereichen: von Haus und Arbeit, von Tieren und Pflanzen, vom Garten und von der Kleidung, von Sein und Nichtsein, vom Glauben und noch von vielen anderen Bereichen.

Und im Jahre 2010 brachten sie das „Plodar Berterpuich“ heraus. Es handelt sich dabei um ein Wörterbuch, in welchem eine Unzahl von Begriffen aufgeschrieben und erklärt sind. Auf gut 800 Seiten findet man plodarische Wörter, die dann auf Italienisch und auch auf Deutsch erklärt sind. So wird das Wort „Rollat“ sowohl auf Italienisch als auch auf Deutsch und auf Plodarisch in mehreren Sätzen erklärt. Zum Rollat heißt es am Schluss Folgendes: „A rèchter rollat muiss a groasser, schtòrker, schnaidiger mònn sain.“ Das Berterpuich ist somit nicht nur ein trockenes Vokabular, sondern auch ein Leitfaden für Geschichte und Kultur einer Gemeinschaft. Ein einfaches Vokabular gibt es lediglich auf den letzten 60 Seiten, und zwar für Bèlsch-Plodarisch. Den Umgang mit Plodarisch habe ich vor ein paar Jahren persönlich auf beeindruckende Weise erlebt: Oben an der Quelle des Piave, am Rifugio Calvi, dort, wo auch Papst Johannes Paul II. eingekehrt war, hielt der Pfarrer von Zahre und Ampezzo, selbst ein Plodar, anlässlich der Versammlung des Sprachinselkomitees einen Wortgottesdienst. Dabei verlas er folgendes Evangelium:

In der sè(ll) zait, Jesus òt gevrok in hohen
prister unt in de èltischtn: „Bòs kimnta denn
viir?“ A mònn òt zba sinne gotn. Unt ka me
earschtn òttar gesok: „Sunn, gea hainte in
main bainpèrk orbatn.“
Unt deer òt gòmpartn:
„’s gea mr et.“ Òver nochar òt’s’n gegrait
unt is gean.

Dr voter is pa me zbaitn gean unt òt ihme
’s glaiche gesok. Er òt gòmpartn: „Jo, Heare.“
Òver er is et gean.
„Ber va zba òt in bille va me voter geton?“
Si ònt gòmpartn: „Dr earschte.“ Unt Jesus
òt ihn gesok: „Birklich i sogis enk: de zohlnar
unt de huirn kèmmint vour enk in den
himblraich.

Dr Johan is enk kèmmin in der schtrosse
va dr g(e)rèchtichkait, unt dier òt ihme net
gelap; de zohlnar unt de huirn drbaile ònt
ihme gelap.

Dier, in geigntal, òt des òis gesehn, òver
nochar òt’sa net ingegriffn ihme ze gelabm.“
Bort va me Heare Gottas
(Mt 21, 28–32)

Und im Schutzhaus selbst fand ich an einer Stubenwand folgendes Tischgebet:

Heare Gottas segn dees èssn.
Unt gibe ins de genode,
As mier’s guit verprauchn.
Mòch as a nieder mentsch
Sai proat òt
Unt a niedis hèrze Daina liebe;
Gibis a me niedn kinde
Va der bèlt
Unt gibe ins òln in vride.

Bei etwas gutem Willen könnten wir Südtiroler mit dieser Sprache gut umgehen.

Plodn heute

So wie andere Sprachinseln hat auch Plodn mit dem Alltag zu kämpfen, gilt es doch viel Kleinarbeit zu verrichten, um kulturell weiterzubestehen. Bereits 1975 wurde die Volkstanzgruppe Holzhockar gegründet. Die Trachten der Volkstanzgruppe tragen eindeutig Tiroler Merkmale, einschließlich der bunten Farben und des Spielhahnstoßes. Plodn wartet auch mit drei Museen auf: Da gibt es auf Zepodn das ethnografische Museum Giuseppe Fontana. Dieses wurde in den 1970er Jahren als Erstes gegründet, die beiden anderen folgten später. Fontana war Plodar Volksschulmeister und hat als solcher in jahrelanger Arbeit für Kultur, Brauchtum und Sprache unermüdliche Sammel- und Forschungstätigkeit betrieben. Wer die Plodar Bau- und Wohnkultur kennenlernen möchte, kann das Puicher ’s Kottlars Haus besichtigen. Es handelt sich um ein Freilichtmuseum im Kleinen. Der Besucher wird durch die einzelnen Räume und in Garten und Stall geführt und kann so Einblick in das landwirtschaftliche Leben Plodns in früheren Zeiten erhalten. Schließlich hat man auch ein Museum zu den Ereignissen des Ersten Weltkrieges hergerichtet. Auch in Plodn hat jüngst eine Entwicklung des Rückbesinnens auf die eigene Geschichte und Kultur eingesetzt. Man restauriert wieder alte Baulichkeiten und bemüht sich um die Erhaltung der traditionellen Baukultur. Es sind auch Bestrebungen zum Neubeleben der Landwirtschaft im Gange und zur Aufwertung der lokalen Gastronomie, nicht zuletzt auch im Hinblick auf einen sanften Tourismus. Seit 1995 gibt es auch einen Kulturverein, Associazione Plodar genannt. Ihm sind die zahlreichen Publikationen zu verdanken, die über Plodn reiche und vielfältige Auskunft geben. In der entsprechenden Netzseite erhält man eine Menge gewünschter Informationen. Seit Jahrzehnten hat Plodn auch einen Kirchenchor. In der Vergangenheit wird wohl von deutschen Gesängen berichtet, aber heutzutage gibt es kaum oder gar kein Notenmaterial sakraler Gesänge; es wird vermutet, dass solches während der Faschistenzeit aus der Kirche weggebracht worden sein könnte. Es gab immer wieder ein Auf und Ab im Leben des Plodar Chorwesens. Heute tritt er mit seinen gut fünfzig Mitgliedern besonders bei kirchlichen Anlässen auf, gelegentlich auch außerhalb von Plodn.

2012 wurde im Sender Bozen der Rai ein Film von Evi Keifl mit dem Titel „Plodn, eine deutsche Sprachinsel sucht Zukunft“ ausgestrahlt. In ihm wurde nicht nur von Geschichte, Brauchtum und Kultur berichtet, sondern auch Gedanken und Meinungen zur Zukunft der Sprachinsel Plodn wurden dargelegt. Sicherlich, auch Plodn ist zwar manchmal bedrängt von zahlreichen Einflüssen von außen, die sich nicht immer positiv auf Erhaltung und Entwicklung kleiner Gemeinschaften auswirken; Plodn ist aber, wie andere Gemeinschaften auch, auf alle Fälle eine lebendige Sprachinsel – heute noch mehr als vor einigen Jahrzehnten.

Die Volkstanzgruppe Holzhockar

Die Volkstanzgruppe Holzhockar